Mercedes-Benz Econic: 10 Jahre Erfolg als Müllsammler - jetzt als City-Verteiler & Sattelzugmaschine: Erdgas-Econic erobert neue Nischen

Der Mercedes-Benz „Econic“ ist ein Pionier: Erst wurde er im großen Stil zum Erdgas-Entsorgungs-Truck entwickelt, jetzt hat er auch noch als City-Verteiler Erfolg.

Symbolbild LOGISTRA (Foto: T. Schweikl)
Redaktion (allg.)

Das Konzept „Econic“ von Mercedes-Benz ist über zehn Jahre alt. Seit 1998 wurden mehr als 9.000 Stück gebaut, überwiegend wird der Econic als Müllsammler eingesetzt. Er ist also ein Exot.
Die Frage stellt sich: Wie mutiert ein als Niederflur-Müllsammel-Fahrzeug konzipierter Lkw zum City-Verteiler? Und das auch noch in der Spielart Sattelzugmaschine? Die Antwort liegt in seiner einzigartigen Bauweise und seinem Antriebskonzept. Schon sehr früh begann Mercedes in seiner Spezialitätenschmiede (KEM) im Mannheimer Motorenwerk mit dem Aufbau alternativer Antriebskonzepte. Der Econic wurde hier für den Erdgasbetrieb vorbereitet. Als Basismotor diente dabei der Block des serienmäßig verbauten Sechszylinders der Baureihe OM 906 LA. In seiner Erdgasvariante heißt der Motor M 907 LAG. Aus 6,9 Liter Hubraum schöpft der zum Fremdzünder umgebaute Motor 205 kW oder 279 PS. Wie schon die Dieselvariante, ist auch der Erdgasmotor mit einem sechsstufigen Allison-Wandler-Automat zusammengespannt. Mehr als 1.000 Erdgas-Econics drehen inzwischen ihre Runden in den Kommunen – vorzugsweise abermals im Müllsammeldienst aber auch als Milchsammler und Heizölverteiler, auf Flughäfen, bei der Feuerwehr und sogar als Möbeltransporter. Den Econic als Sattelzugmaschine für den 32-Tonnen-Frischdienstverteiler einzusetzen, ist eher als Folge immer stärker um sich greifender Einfahr-Restriktionen zu sehen. Tengelmann war der erste, der 2008 ein solches Fahrzeug in Dienst stellte, Aldi folgte mit einem Testfahrzeug bereits ein Jahr später. Auch unser Testwagen ist
als besonders umweltfreundlicher Frischdienst-Verteiler konzipiert: Den zweiachsigen Ferroplast-Koffer mit zwangsgelenkter letzter Achse kühlt ein superleises Cryotech-Kühlgerät von Thermoking. Es ­arbeitet mit flüssigem CO2 als Kühlmittel, der dick isolierte Tank unterm Chassis ist kaum zu übersehen. Zusammen mit dem Econic in seiner Ausführung mit hohem Fahrerhaus bildet dieses Gespann einen Zug mit weit besserer Abgasqualität als EEV. Mit Motorkapselung erfüllt der Econic sogar die strengen niederländischen Lärmbestimmungen nach „PIEK“. Derzeit werden damit 72 dB Außengeräusch für den nächtlichen Lieferverkehr in holländischen Städten erfüllt. In einigen Jahren soll der Geräuschemissionswert auf 65 dB gesenkt werden. Der Zusatzaufwand hierfür wird beträchtlich sein: So sind Abblasgeräusche der Federspeicher zu dämpfen, die hochfrequenten Geräusche des Allison-Automat überlegt man, mit einem „Silent“-Modus und Begrenzung auf 60 bis 70 km/h in den Auslieferzonen in den Griff zu bekommen.
Vor diesem Hintergrund, der über kurz oder lang auch hiesige Kommunen mit Abgas- und lärmrelevanten Einfahr-Restriktionen überziehen wird, ist die Entwicklung eines solchen Zuges zu sehen.
Zwar war unser Test-Econic NGT noch nicht mit einer Lärmkapsel ausgestattet, die Lärmabstrahlung nach außen ist aber beim Erdgas-Motor auch ohne Kapselung ziemlich gering. Der Erdgas-Motor arbeitet ja weniger hoch verdichtet mit Fremdzündung und verbrennt viel weicher als ein Diesel. Die Geräuschkulisse im Innenraum ist dagegen beträchtlich und hauptsächlich bestimmt vom hohen Drehzahlniveau des Motors und dem verhältnismäßig lauten Heulgeräuschen des Allison-Automaten.

Zwei Einstiege
Aber beginnen wir beim Einstieg. Der Econic hat zwei: Einmal die Fahrertür links und dann die pneumatisch betätigte Falttür rechts. Sie öffnet in Omnibusmanier auf Knopfdruck und nur bei eingeschalteter Zündung, was bisweilen nerven kann, weil die Tür bei ausgeschaltetem Motor eben nicht funktioniert. Das Entern des Fahrerhauses mit über zwei Meter Innenhöhe ist jedoch eine Freude. Aufrechten Ganges entert man das geräumige Fahrerhaus. Weit weniger bequem gestaltet sich der Zugang von links über die Tür zum Fahrerplatz. Eng ist der Türöffnungswinkel, noch enger der Spalt zwischen B-Säule und Lenkradkranz. Da heißt es Bauch einziehen und das Lenkrad per Verstellung ganz nach oben drücken. Nur so lässt sich der Fahrerplatz von links erreichen. Über die Falttür geht das viel einfacher, daran kann man sich gewöhnen.
Das Armaturenbrett und seine Bedienelemente wurden ganz eindeutig für eine Entsorger-Crew gestaltet. Die Mittelkonsole ragt nur wenig in den Innenraum, so bleibt viel Platz für bis zu drei Mitfahrer. Skurril ist die Platzierung des Radios: Hier wurde wohl auf die Bedienung durch Mitfahrer spekuliert, der Fahrer erreicht das Gerät jedenfalls nur mit Verrenkungen. Mit der neuen Actros-Generation (ab Euro 6) soll auch das Econic-Interieur auf den neuesten Stand gebracht werden. Eher an einen Omnibus erinnert das Fahrgefühl mit dem Econic: Man sitzt ähnlich weit vor der Vorderachse, der lange vordere Überhang verlangt Umsicht und ist zunächst für den Lkw-Chauffeur ungewohnt. Exzellent sind dagegen die Sichtverhältnisse, wenn es eng wird beim Abbiegen. Besonders positiv fallen die gläsernen und dadurch sehr filigran ­wirkenden A-Säulen auf. Sie wurden durch die spezielle Gitterbauweise der Kabine in Aluminium möglich. Mercedes nennt diese aufwendige Bauweise „Alu-Space Cage“ und sie ist mit ein Grund dafür, warum der Econic rund 20 Prozent mehr kostet, als eine für dieses Segment typische Standard-Axor-­Zugmaschine. Da am Tag unserer Probefahrt mehr oder weniger Schnee-Chaos auf Bayerns Straßen herrschte, beschränkten wir uns auf unsere Landstraßen-Runde und ein kurzes Stück Autobahn. Letztere spult der Econic bei 84 km/h Marschgeschwindigkeit mit gut 1.800 Umdrehungen ab. Der Erdgasmotor liegt hier nahe an seinem Vollast-Verbrauchsminimum, der Drehzahlmesser markiert hier jedoch schon das Ende des grünen Bereichs, weil die Rechnung bei überwiegender Teillastfahrt hier deutlich ungünstiger ausfällt. In den Steigungen wirkt sich die extrem kurze Übersetzung dagegen positiv aus: der Econic bleibt stets im höchsten Gang und fällt nur auf knapp unter 80 km/h ab. Mit 32 anstatt gut 15 Tonnen Gesamtgewicht würde das freilich anders aussehen. Die freundlicherweise mitgelieferten Zugkraftdiagramme zeigen, dass der Econic eine mittlere, vierprozentige Steigung gerade noch in der direkten vierten Fahrstufe packen würde, bei einem Geschwindigkeitsabfall auf 40 km/h. Daran sieht man schon, dass der Econic voll beladen auf der hügeligen Autobahn ein Verkehrshindernis ersten Ranges wäre. Für diesen Einsatz ist er aber auch nicht gedacht.

Kleine Fahrzeuge ersetzen
Econic-Produktmanager Peter Bauer weist deshalb gerne daraufhin, dass der Econic in dieser Ausprägung für innerstädtische Einsatzprofile mit stark wechselnden Beladungszuständen konzipiert ist. Je nachdem, ob mit einem Einachs- (26 Tonnen Gesamtgewicht) oder einem Zweiachs-Auflieger (32 Tonnen Gesamtgewicht) bestückt, trete man, so Bauer, nicht in Konkurrenz zu klassischen Überland-Verteilern mit Diesel-Sattelzugmaschinen. Ziel sei es vielmehr, viele kleinere Verteiler im Stadtverkehr durch einen Econic zu ersetzen.
Auch die Auslegung des Triebstranges zielt auf den innerstädtischen Verkehr ab: Die Paarung Gasmotor plus Wandler-Automatik hat ja den großen Vorteil, dass die zahlreichen Anfahrvorgänge und das Kriechen in Stausituationen vor Ampeln praktisch verschleisslos erledigt werden. Da der Erdgasmotor trotz sorgfältig optimierter Charakteristik aber dennoch in Sachen Anfahrleistung und Antritt aus unteren Drehzahlen nicht wirklich an die Qualitäten eines Diesels herankommt, ist er in Anfahrsituationen zudem von der drehmomentsteigernden Wirkung des Wandlers abhängig. Und genau diese Zusammenhänge funktionieren hier erstaunlich gut und mit viel Komfort für den Fahrer. Der kann mehr Aufmerksamkeit seiner Umgebung widmen und kann mit Fußgängern und Radfahrern quasi in Augenkontakt treten – auch das ein Vorteil des Niederflur-Konzepts. Die standardmäßig luftgefederte Vorderachse des Econic unterstützt ebenfalls das Niederflur-Konzept und sorgt für gute Wankstabilität. In Sachen Federungskomfort bringt sie kaum spürbare Vorteile und auf die Lenkung wirkt sie eher negativ. Die aufwendige Radführung über Lenker und Federbein sorgt für wenig befriedigenden Geradeauslauf. Für den Fahrer heißt das, mit ständigen Lenkkorrekturen eingreifen zu müssen. Am Ende unserer verkürzten und vielen Behinderungen durch Schneewehen geprägten Schlechtwetterrunde ziehen wir an der einzigen Erdgassäule in Eichstätt Bilanz: Nach nur 157 Kilometern füllten wir 45,2 Kilogramm Erdgas der Qualität „H“ nach, also den guten Stoff mit hohem Brennwert. Ein Kilo H-Gas entspricht in etwa 1,3 Liter Diesel. Wir kamen so auf einen Verbrauch von 28,8 kg/100 km, ohne auch nur eine Tonne Nutzlast transportiert zu haben. Das entspricht in etwa einem Diesel-Äquivalent von 58,8 Liter Diesel oder 37,4 l/100 km. Das ist schon eine Menge, wenn man bedenkt, dass wir mit 32 Tonnen schweren Citysatteln unter Normalbedingungen gerade mal 27-28 l/100 km Diesel verfeuern. Selbst wenn wir einen Wetterbonus von minus 20 Prozent einkalkulieren kommen wir immer noch auf 23 kg/100 km Erdgas oder knapp 30 l/100 km Diesel. Betrachten wir die Kraftstoffkosten für diese (korrigierten) Werte: Am Testtag kostete Erdgas 94 Cent das Kilogramm, Diesel 117 Cent für den Liter. Für Erdgas berappen wir entsprechend 36 Euro, für das Dieseläquivalent an Heizwert wären 55 Euro fällig geworden. Ersparnis: gut 34 Prozent! Und das lässt dann doch wieder aufhorchen, obwohl dieser Spareffekt lediglich über den Preisunterschied Erdgas/Diesel zustande kommt und mit Vorsicht zu bewerten ist, weil hier der bessere Wirkungsgrad des Dieselmotors noch nicht berücksichtigt ist (vgl. hierzu Kasten Kommentar). Peter Bauer weiß aus der Erdgas-Econic-Kundschaft, dass in der Praxis zum Beispiel mit 32 Tonnen und ähnlicher Konstellation wie unser Testzug zwischen 28 und 30 kg/100 km in der Lebensmittel-Distribution verbraucht werden. Ein anderer Kunde fährt sogar mit 38 Tonnen Anfangslast und kommt auf 34 kg/100 km. Umgerechnet und verglichen mit Diesel-Äquivalent ergeben sich auch hier Einsparungen nur durch den Kraftstoffpreis von 37-38 Prozent. Solange Erdgas durch die geringe Besteuerung in Relation zu Diesel derart günstige Kraftstoffkosten ermöglicht, wird Erdgas wohl weiter ein sehr attraktiver Treibstoff bleiben. Stünde es als Biogas aus Biomasse in entsprechender Menge zur Verfügung, wäre der Econic NGT sogar CO2-neutral zu betreiben. Wenn das kein Werbepotenzial für den Betreiber darstellt!

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Autor:

Robert Domina

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