Logistik-Umbrüche: Unternehmen müssen Wirtschaftlichkeit und soziale Verantwortung vereinen: Kommissionierung: Ergonomie in der Logistik

Die Gestaltung von humanen Arbeitsplätzen rückt für die Betreiber von Distributionszentren immer mehr in den Mittelpunkt.

Symbolbild LOGISTRA (Foto: T. Schweikl)
Redaktion (allg.)

Wie fast alle Bereiche des täglichen Lebens steht auch die Arbeitswelt in der Logistik vor großen Umbrüchen. Im Wesentlichen zeichnen sich für Logistiker Prioritäten ab, welche im scheinbaren Widerspruch stehen: Einerseits müssen Unternehmen permanent die Wirtschaftlichkeit und Effektivität verbessern um im globalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. An die Produkt- und Ergebnisqualität werden vom Kunden immer höhere Ansprüche gestellt. Der Leistungsdruck auf die Mitarbeiter steigt ständig. Andererseits haben Unternehmen erkannt, dass sie eine soziale Verantwortung haben, zukunftsgerechte und ergonomische Arbeitsplätze zu schaffen. Schließlich sind die bewegten Gewichte und Tonnagen sehr hoch und kommende Generationen stellen höhere Anforderungen an die Arbeitsplatzqualität. Und ältere Mitarbeiter brauchen altersgerechte Arbeitsplätze, um weiterhin ihr Leistungspotential ausschöpfen zu können.

Gleichzeitig sind Gesetzte in Vorbereitung, die die tägliche Arbeitszeit eines Arbeiters darauf beschränken, welches Gesamtgewicht er pro Schicht bewegt. Darüber hinaus wird der viel zitierte demografische Wandel – der unausweichlich kommt – die Situation nochmals verschärfen. Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als lägen diese Dinge noch in ferner Zukunft. Aber wenn man bedenkt, dass die Lebensdauer einer Logistik-Lösung 30 Jahre und mehr beträgt, gewinnt gerade der Faktor Ergonomie bei aktuellen Investitionsentscheidungen eine immer zentralere Bedeutung.

 

Demografischer Wandel

Leben in Deutschland heute noch 82 Millionen Einwohner, werden es laut Angaben des statistischen Bundesamtes im Jahr 2060 nur noch 65 bis 70 Millionen sein. Besonders stark werden sich die Verschiebungen auf die Gruppe der Menschen im erwerbstätigen Alter von 20 bis 50 Jahren auswirken. Deren Zahl wird um geschätzte 35 % abnehmen. Dagegen wird die Zahl der 60-jährigen bereits bis zum Jahr 2030 um fast 40 % steigen. Statistiken von Unternehmen aus verschiedensten Branchen betonen, dass das Durchschnittsalter der Belegschaft jedes Jahr ansteigt und dass diesbezüglich Konsequenzen getroffen werden sollten.

Anhand von Beispielszahlen eines großen deutschen Automobilherstellers sieht man, dass das Durchschnittsalter der Mitarbeiter im Jahr 2006 noch bei etwa 41 Jahren lag. Schon 2013 wird das Durchschnittsalter auf 46 Jahre ansteigen. Für 2018 rechnet man pro Mitarbeiter mit einem Altersdurchschnitt von fast 48 Jahren. Weitere Firmen haben ähnliche Ergebnisse ermittelt.

Zahlreiche Arbeitsgruppen und Netzwerke befassen sich schon heute damit, Lösungen zu erarbeiten. Die Schaffung von zukunftsgerechten, ergonomischen Arbeitsplätzen ist eine häufig genannte Lösung, um die Konsequenzen erfolgreich zu managen. Die körperliche Belastung der Mitarbeiter ist in vielen Branchen ausgesprochen hoch, beispielsweise im Bereich der Handelseinheiten-Kommissionierung im Lebensmitteleinzelhandel. Hier werden Durchschnittsgewichte von etwa acht Kilogramm pro Handelseinheit bewegt. Die Obergrenze liegt teilweise bei 20 kg und mehr. Dies hat zur Folge, dass ein Mitarbeiter pro Schicht zum Teil bis zu 15 Tonnen oft mit noch konventionellen Hilfsmitteln kommissionieren muss.

Nicht-ergonomische Arbeitsabläufe, wie vielmaliges Bücken, Heben und Tragen erschweren die Arbeit zusätzlich. Daraus resultierende gesundheitliche Probleme der Mitarbeiter. Fehlzeiten, Fluktuation sowie mangelhafte Ergebnisqualität verursachen hohe Kosten und Folgekosten. Das Ergebnis sind negative Auswirkungen, sowohl für den Menschen, als auch für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Krankheiten des Muskel-, Skelett-, und Bindegewebesystems sind immer noch die häufigste Ursache für Fehltage. Oder umgekehrt ausgedrückt: Je humaner die Arbeitsplätze und die Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter sind, desto höher ist die Ergebnisqualität, die Mitarbeitermotivation und – alles in allem – der Erfolg des Unternehmens.

 

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Rechtliche Anpassungen

Eine weitere Herausforderung ist die zukünftige Veränderung von rechtlichen Rahmenbedingungen. In skandinavischen Ländern sind bereits Gesetze in Vorbereitung, welche Richtlinien hinsichtlich Gewichte, Körperhaltung und zulässigen Arbeitszeiten definieren. Sie limitieren langfristig die Schichtzeiten auf Tonnagen anstatt Stunden. In der Praxis bedeutet dies, dass Mitarbeiter nicht nach acht Stunden, sondern zum Beispiel nach acht Tonnen ein Limit erreicht haben und dann nur noch andere Tätigkeiten ausführen dürfen.

Eine Konsequenz, welche die Betreiber vor enorme wirtschaftliche als auch organisatorische Probleme stellen wird. Kommen diese Gesetze in Nordeuropa zum Tragen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch in anderen europäischen Ländern und weiteren Kontinenten greifen. Doch nicht nur die Erhaltung der Arbeitskraft von älteren, erfahrenen Arbeitnehmern ist ein Punkt, der für die Schaffung von ergonomischen Arbeitsplätzen spricht. Zukünftige Generationen werden zweifellos andere Erwartungshaltungen und Ansprüche hinsichtlich der Arbeitsplatzgestaltung entwickeln. Unternehmen werden somit gefordert sein, attraktive und humane Arbeitsplätze anzubieten um den notwendigen Personalbedarf abdecken zu können.

Selbst bei der aktuellen Arbeitsmarktlage ist es für Unternehmen nicht immer leicht, Personal für die operative Logistik zu gewinnen und dauerhaft zu begeistern. Der demografische Wandel verschärft dieses Problem nochmals. Durch die Schaffung von modernen, zukunftsweisenden Arbeitsplätzen wird auch hier auf dem Arbeitsmarkt ein Umdenken erfolgen. Deshalb rückt die Ergonomie für die Betreiber der Distributionszentren immer mehr in den Mittelpunkt. Die Gestaltung von ergonomischen Arbeitsplätzen ist zukünftig nicht mehr ein „Nice-to-have“ sondern wird zu einem Wettbewerbsvorteil und Differenzierungsmerkmal für Kunden und Betreiber.

Die Umsetzung ergonomischer Arbeitsplätze- und Ablaufprozesse wird zukünftig einen ebenso hohen Stellenwert einnehmen, wie die Wirtschaftlichkeit oder die Energie-Effizienz einer Anlage. Dies gilt nicht nur für die Planung von neuen Logistikzentren sondern wird auch bei Retrofits ein wichtiger Aspekt. Wirtschaftliche Vorteile durch ergonomische Lösungen sind schon heute messbar (z.B. Leitmerkmalsmethode, NIOSH).

Zudem haben Unternehmen erkannt, dass die Attraktivität als Arbeitgeber mit dem Angebot an ergonomischen Arbeitsplätzen deutlich zunimmt. Humane Arbeitsplätze für ältere und jüngere Mitarbeiter werden somit zu einer Image-Frage – denn Unternehmen tragen in der Gesellschaft eine soziale Verantwortung für Werte und Rahmenbedingungen. Menschen werden immer älter – und das ist erfreulich und positiv! Und speziell in der Logistik, wo Tätigkeiten heutzutage oftmals noch mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden sind, haben Betreiber und Systemintegratoren spannende Aufgaben und Herausforderungen zu lösen. Die kommenden Veränderungen sind eine großartige Chance für die Branche, ihre Innovationskraft zu demonstrieren. Unternehmen haben eine soziale Verantwortung in der Gesellschaft – und dieser Verantwortung gilt es gerecht zu werden – und zwar ökonomisch, ökologisch und ergonomisch.

 

Der Autor

Helmut Prieschenk ist seit zwölf Jahren Geschäftsführer der Witron Logistik & Informatik GmbH mit Sitz im ostbayrischen Parkstein. Er verfügt über langjährige und internationale Projekterfahrung in der Intralogistik.

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