Logistik-Kosten steigen: Komplexitätstreibende Faktoren im Fokus - Forschungsarbeit des Instituts für Logistik und Unternehmensführung

„Komplexität beherrschen – Zukunftintelligent gestalten“ so lautet das Motto der LogiMAT 2015. Vor Kurzem haben Hamburger Wissenschaftler eine Methode entwickelt, mit der Komplexitätskosten identifiziert und Maßnahmen zur Handhabung abgeleitet werden können.

Symbolbild LOGISTRA (Foto: T. Schweikl)
Redaktion (allg.)

Durch den gestiegenen Wettbewerb in der Logistik werden zunehmend die Kosten für logistische Prozesse in den Vordergrund gerückt. Die häufig genannten Beispiele steigender Energie- und Lohnkosten sind jedoch nicht die einzigen Faktoren, die im Zuge dieser Diskussion zu berücksich tigen sind. In der Praxis treten vermehrt komplexitätstreibende Faktoren wie beispielsweise die kundengetriebene Variantenvielfalt, die Heterogenität gesetzlicher Dokumentationsanforderungen oder die Inkompatibilität von IT-Systemen in den Vordergrund.
Diese Frage greift die Forschungsarbeit des Instituts für Logistik und Unternehmensführung an der Technischen Universität Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Kersten auf. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Bewertung von Komplexitätskosten in Logistiksys temen“ wird eine Methodik entwickelt, mit deren Hilfe Komplexitätskosten identifiziert und Maßnahmen abgeleitet werden. Bei der Entwicklung eines derartigen Kostenmanagement-Ansatzes ist die Berücksichtigung von Megatrends wichtig, die häufig hohe Kostenwirkungen hervorrufen. Zur Identifikation von Megatrends und deren Relevanz für die Logistik führte das Institut eine Literaturrecherche sowie eine Pilotstudie in der Praxis durch. Für Letztere wurden Unternehmensvertreter aus den Bereichen Transport, Umschlag und Lagerung sowie Beratung gezielt einzeln interviewt. Darauf aufbauend traten die Firmenvertreter in eine gemeinsame Fokusgruppendiskussion. Insgesamt wurden 16 Megatrends identifiziert, die für die Logistik relevant sind. Anschließend wurden ihr Einfluss auf logistische Systeme und damit verbundene Kosten analysiert.
Kosten der Megatrends
Die Ergebnisse der Pilotstudie weisen eine hohe Schnittmenge zu dem Ergebnis der Literaturrecherche auf. In den Gesprächen mit den Experten wurden die Megatrends Nachhaltigkeit, Globalisierung und Demografischer Wandel in den Vordergrund gerückt. Dabei wird der Demografische Wandel von den Experten als „die große Herausforderung der nächsten 20 Jahre“ gesehen. So hat dieser Megatrend einen essenziellen Einfluss sowohl auf die Personalstruktur als auch auf Kundenanforderungen. Auch ITspezifischen Megatrends (Transparenz, E-Business, RFID) wird in der Praxis eine zunehmende Bedeutung zugesprochen.
Der Megatrend Nachhaltigkeit, der in der Literaturanalyse erstmalig in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2008 als Megatrend in Bezug auf die Logistik identifiziert wurde, hat in den vergangenen Jahren zunehmende Bedeutung erlangt. Das Verständnis einer nachhaltigen Logistik wird in der Praxis jedoch oftmals mit einer „grünen Logistik“ gleichgesetzt, die unter ökologischen Gesichtspunkten nachhaltig ist. Aspekte der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit werden unter der Überschrift der Nachhaltigkeit häufig nicht ausreichend berücksichtigt. Die Megatrends und ihre Effekte sind nur schwer voneinander abgrenzbar. So kann die Globalisierung als übergeordneter Megatrend angesehen werden, der verschiedene andere Megatrends beeinflusst. Zum Beispiel kann die zunehmende Individualisierung der kundenseitigen Nachfrage als eine Folge der Erschließung neuer Märkte im Zusammenhang mit der Globalisierung aufgefasst werden. Ebenfalls wurden einzelne Megatrends diskutiert, die sich nicht in der Schnittmenge der Ergebnisse aus Literaturauswertung und Expertenbefragung befinden. Das Thema Compliance ist nach Ansicht der Praktiker für die Fragestellung von Bedeutung, da dessen komplexitätstreibende Wirkung häufig erhebliche Kosten verursacht. 3D-Druck wird von den Unternehmensvertretern gegenwärtig als Trend eingeschätzt, der das Potenzial hat, sich zu einem Megatrend mit erheblichem Einfluss weiterzuent wickeln. Beispielsweise können dadurch neue Geschäftsmodelle im Bereich der Ersatzteillogistik erforderlich werden.
Kostentreiber identifiziert
In einem weiteren Schritt bewerteten die Experten die Megatrends in puncto ihrer Kosteneffekte in Bezug auf zwölf identifizierte komplexitätstreibende Faktoren (beispielsweise die eingangs genannten: kundengetriebene Variantenvielfalt, Heterogenität gesetzlicher Dokumentationsanforderungen und Inkompatibilität von IT-Systemen). Die Megatrends wurden in drei Arten unterschieden: Megatrends, die eine Tendenz zu einem negativen (rot), positiven (grün) oder neutralen (grau) Komplexitätskosteneffekt haben (s. Abbildung).
Zur Verdeutlichung wird das Beispiel eines Unternehmens herangezogen, das eine Vielzahl an Kundengruppen bedient: Der Megatrend Individualisierung hat zur Folge, dass die Komplexität hinsichtlich der Bedienung der unterschiedlichen Kundengruppen steigt und damit auch der Kosteneffekt proportional zunimmt. Hingegen hat der Megatrend RFID zur Folge, dass die Komplexität, die durch die unterschiedlichen Kundengruppen entsteht, durch Einsatz dieser Technologie besser beherrscht werden kann. Damit werden auch die Kosteneffekte verringert, die durch diesen komplexitätstreibenden Faktor, also der Anzahl an Kundengruppen, verursacht werden. Diese Effekte können jedoch im Einzelfall in logistischen Systemen abweichen. Somit ist eine unternehmensspezifische Bewertung unabdingbar. Die dargestellten Erkenntnisse fließen in die weitere Entwicklung eines Kostenmanagement- Ansatzes ein.
Autoren: Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Kersten, Institutsleiter, Birgit von See, wissenschaftliche Mitarbeiterin, und Henning Skirde, wissenschaftlicher Mitarbeiter, alle am Institut für Logistik und Unternehmensführung an der TU Hamburg.

 

Dieser Artikel erschien in der LogiMAT Daily 2015 10.02.2015

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