Warehouse Management: Kostendruck, Rationalisierung und Automation erfordern Software-Lösungen: Parametrierung vor Programmierung

Bei Lagerverwaltungssoftware bieten Standardlösungen hohe Investitionssicherheit. Zukunftsfähige Systeme müssen aber die zunehmende Dezentralisierung im Materialfluss berücksichtigen.

Symbolbild LOGISTRA (Foto: T. Schweikl)
Redaktion (allg.)

Minimierung der Stückzahlen sowie ein wachsendes und oft schnell wechselndes Artikelspektrum bei gleichzeitiger Verkürzung der Lieferzeiten – mit den steigenden Marktanforderungen wird die Lagerlogistik immer komplexer. Parallel dazu fordert der permanente Kostendruck weitere Rationalisierungen sowie eine kontinuierliche Prozess­optimierung.

Neben dem Ausbau der Logistikanlagen und der Automation der Prozesse steht dabei die Software im Fokus. „Gerade im Warehouse Management fungieren moderne Softwaresysteme als Enabler für langfristige Agilität“, urteilt Wolfgang Albrecht, Geschäftsführer PSI Logistics GmbH, Berlin, und Vorsitzender des Vorstands der Forschungsgemeinschaft Intralogistik/Fördertechnik und Logistiksysteme im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Mit ihren auf Transparenz und Flexibilität ausgelegten Funktionen, die weit über die Standardfunktionen der Lagerverwaltung hinaus reichen, bieten sie zahlreiche, oft noch ungenutzte Optimierungsoptionen. Zudem können die Anwender langfristig die sich immer rascher verändernden Wettbewerbsanforderungen offensiv dynamisch in ihre Prozessgestaltung einbinden.“
Das zielt neben der Prozess­effizienz in erster Linie auf die transparente Erfassung, Darstellung und weitere Nutzung wichtiger Kennzahlen, den sogenannten Key Performance Indicators (KPI), ein darauf basierendes
Ressourcenmanagement sowie die Integration vor- und nach­gelagerter Prozesse in die Supply Chain.
„Generell erschließen die Softwaresysteme Optimierungspotenziale überall dort, wo manuelle Tätigkeiten oder Entscheidungen über ein Regelwerk der IT unterstützt werden können“, sagt Tim Geißen, Leiter Team Warehouse Logistics der IML-Abteilung In­tralogistik und -IT Planung. „Die geeignete Führung durch die Lagersoftware beschleunigt die Ausführung von Prozessen.“
Doch in welchen Bereichen kann der Softwareeinsatz die Wirtschaftlichkeit steigern, welches Wachstum, welche Prozesse, welche Optimierungspotenziale sollen künftig erschlossen werden? Bei derartigen Fragestellungen sind flexible und zukunftsfähige, das heißt mitwachsende IT-Systeme gefragt. „Zukunftssichere Softwaresysteme müssen in der Lage sein, auch komplexe und indi­viduelle Anforderungen der Unternehmen möglichst umfassend durch releasefeste und standardisierte Bausteine abzubilden“, so Michael Baranowski, Geschäftsführer der Team GmbH, Paderborn. „Eine klare Modularisierung und eine komponentenbasierte Konfiguration sind hierfür die Voraussetzung.“
Wandelbare Lösungen
Für die Auswahl eines Systems raten Experten zu einer möglichst hohen Überdeckung von Kundenanforderung und funktionalem Leistungsumfang, den die Softwarelösung im Standard bietet. „Im Betrieb ist die Wandel­barkeit und Erweiterbarkeit der Logistiklösung notwendig“, erläutert Franz Salomon, Geschäftsführer der Salomon Automation GmbH, Graz, einem Mitglied der SSI Schäfer Unternehmensgruppe. „Daher ist der Einsatz von zukunftssicheren Standardtechnologien in der kurzlebigen IT-Welt essenziell für den langfristigen Betrieb und die Investitionssicherheit.“
Einen weiteren wichtigen Aspekt bildet die Expertise des Anbie­ters in einem speziellen Lager­umfeld beziehungsweise seine Branchenkompetenz. Ausbaufähige modulare Strukturen des Systems und die Releasefähigkeit erhöhen überdies die Investitions­sicherheit. „Damit entscheidet nicht zwangsläufig der günstigste Preis, sondern das Komplettpaket aus Funktionalität und Anbieterexpertise hinsichtlich derzeitigen und zukünftigen Modellierungen“, sagt IML-Fachmann Geißen. Grundsätzlich gilt: Parametrierung, also der Zuschnitt und Ausbau von Standardfunktionen auf die individuellen Anforderungen, geht vor Programmierung. Das erhält die Releasefähigkeit der Software.
Die ist angesichts immer größerer Technologiesprünge und kürzerer Entwicklungsphasen ein absolutes Muss für die Zukunftsfähigkeit von Logistiksoftware. Mit neuen Releases integrieren die Anbieter neue Technologien und neue, marktgerechte Funktionen in ihre Systeme. Die Vorteile, die modulare Standardsysteme gegenüber Individualprogrammierungen bieten: kalkulierbare Kosten, kürzere Projektlaufzeiten, Module mit bewährten Funktionen.
Zur Abdeckung der aktuellen Trends und künftigen Anforderungen setzen 70 Prozent der rund 150 WMS-Anbieter im deutschen Markt ihren Entwicklungs­schwerpunkt gegenwärtig auf Leitstandsfunktionen. Moderne Cockpits dienen sowohl der Transparenz als auch der Prozesssteuerung. Sie zeigen nicht nur die KPIs an, sondern erlauben direkte Einflussnahme auf das Geschehen im Lager. „Daher ist diese Funktion eng verknüpft mit der Ressourcenplanung, die auf Basis des aktuellen oder sogar erwarteten Auftragsvorrats einen möglichst optimalen Einsatz von Mitarbeitern oder Transportmitteln im Lager erlaubt“, fasst Geißen zusammen.
Standard: ABC-Analyse
So können aus einem leistungsstarken Leitstand heraus bedarfsweise zusätzliche Kommissionierstationen oder Packplätze geöffnet, Mitarbeiter auf andere Arbeitsstationen geleitet oder auch Eilaufträge für spezifische Touren oder Versandarten priorisiert freigegeben werden, um Cut-off-Zeiten einzuhalten. „Mit der zeitlichen Darstellung der KPI erschließt Lagersoftware weitere Optimierungspotenziale“, urteilt Fritz Mayr, Geschäftsführer der CIM GmbH, Fürstenfeldbruck. Etwa bei der Bestandsoptimierung und -reduzierung aufgrund von genauen Daten, die das Lagerverwaltungssystem liefert.
„Standardfunktionen sind dabei beispielsweise eine ABC-Analyse, die Artikel nach Schnell- und Langsamdrehern klassifiziert“, so Mayr. „Die Daten aus der ABC-Analyse dienen dazu, Wege im Lager, Nachbevorratungen und den Fahrzeugeinsatz zu optimieren sowie den Energieaufwand zu reduzieren.“
Weitere Optimierungspotenziale im Lager versuchen die Softwareanbieter durch intelligente Benutzeroberflächen zur Einbindung von mobilen Plattformen wie Smartphones und Tablets sowie die Ausrichtung auf Technologien, etwa die Radio Frequency Identification (RFID), und Cloud-Anwendungen zu generieren. „Cloud Computing, Webfähigkeit oder die Unterstützung von mobilen Devices zählen vor dem Hintergrund der immer stärkeren IT-Vernetzung zu den wichtigsten Herausforderungen für die Lagersoftware“, sagt Markus Müllerschön, Leiter IT-Consulting der Viastore Systems GmbH, Stuttgart.
„Technisch werden Logistiksysteme und ihre Hard- und Softwarekomponenten dem stetig steigenden Kommunikationsbedarf untereinander nur dadurch begegnen können, indem sie gewisse Entscheidungen auf die Systemkomponenten selbst übertragen“, prognostiziert Geißen. „Mit ‚Industrie 4.0‘ und der damit einhergehenden Dezentralisierung werden auch im Lager zukünftig intelligente Ladungsträger Aufgaben und Entscheidungen ohne die ständige Kommunikation mit einer zentralen Instanz übernehmen. Warehouse Management Systeme werden diesem Umstand gerecht werden müssen.“
Prognosetools wichtig
Nicht nur für die optimale Planung und schnelle Reaktion auf veränderte Anforderungen gewinnen darüber hinaus integrierte Simulations- und Prognosetools zunehmend an Bedeutung. „Um die immer komplexer werdenden Anlagen beherrschen zu können, sind Simulationstools unabdingbar“, urteilt Stefan Weisshap, Software Sales Materialflow/Warehouse Management der Aberle GmbH Leingarten. „Für einen schnellen Auftragsdurchfluss sind aussagekräftige und verlässliche Prognosen etwa zur Bevorratung zwingend erforderlich.“
Ihr Einsatz beginnt oft sogar bereits in der Planungsphase vor Inbetriebnahme neuer Hardware. Mit der sogenannten Emulation wird das Verhalten einzelner Komponenten vorab, „oder bei Strategieänderungen im laufenden Betrieb“, so Weisshap, in einer virtuellen Testumgebung simuliert.
„Hier bieten Simulation und Prognose in einem frühen Stadium die Möglichkeit, Steuerungsstra­tegien zu entwickeln und zu testen und geplante Abläufe hinsichtlich ihrer Effizienz zu überprüfen“, erklärt Bertram Salzinger, Vorstandsvorsitzender der Inconso AG, Bad Nauheim. „Grundsätzlich sollte die Anwendung solcher Verfahren in einem Regelkreislauf erfolgen. Ergebnisse aus Simulation oder Prognose werden in den operativen Betrieb übernommen, die neuen Prozesse wiederum per Simulation oder Prognose auf weitere Verbesserungen hin überprüft. Damit wird die Optimierung zu einem permanenten Prozess.“
Mit erheblichen Vorteilen im operativen Regelbetrieb. „Spezielle Prognosealgorithmen, die etwa in das Ressourcenmanagement integriert sind, erlauben es uns heute, die Simulations- und Prognose­verfahren sogar zu automatisieren“, sagt PSI-Geschäftsführer Wolfgang Albrecht. „Dabei werden Auslastungsverläufe in die Zukunft projiziert, kontinuierlich kalibriert und so der Ressourceneinsatz im operativen Tagesbetrieb wie auch längerfristige strategische Budget- und Kapazitätsplanungen optimiert.“ Der Paketdienstleister DPD erzielt mit einer derart dynamischen Personaleinsatzplanung je Mitarbeiter durchschnittliche Einsparungen von mehr als 100 Euro pro Monat.
Auch wenn heute moderne Warehouse Management Systeme mit der Steigerung der Produktivität und Kosteneinsparungen durch intelligentes Ressourcenmanagement zunächst auf interne Prozesse gerichtet sind, bieten ihre Optimierungsoptionen gleichwohl direkten Kundennutzen: Reduzierte Fehlerraten bei Kommissionierung und Verpackung oder eine verbesserte Lieferbereitschaft sind handfeste Wettbewerbsvorteile. Das haben auch die Anbieter erkannt.
Mit der Möglichkeit, weitere Serviceleistungen wie Kit-Verpackungen und Zusatzetiketten bereitstellen zu können (Aberle), der Prozessausrichtung auf Mindesthaltbarkeitsdaten und Mindestlagerdauer (CIM), Bewältigungsstrategien für externe Störungen etwa bei Lieferausfällen (Inconso), der Einbindung von Case Calculation und rückwärtig terminierbarer Auftragskommissionierung (PSI Logistics), einer Integration von Funktionen der Materialflusssteuerung (SSI Salomon) oder Zusatzfunktionen für das Energiemanagement (Via­store) bieten die aktuellen Systeme erhebliche Mehrwertpotenziale.
Als Grundvoraussetzung für kürzere Lieferzeiten oder neue Serviceoptionen definiert IML-Fachleiter Geißen eine maximale Transparenz über Bestände und Auftragsstatus – allerdings sowohl innerhalb als auch außerhalb des Lagers. „Die muss von neuen Planungs- und Steuerungsfunk­tio­nalitäten innerhalb des WMS abgedeckt werden.“
Durchgängige Verfolgung
So führen Cross-Docking-­Funktionalität oder eine bedarfs­gerechte Rückstandsauflösung im Wareneingang zu kürzeren Durchlaufzeiten bei der Bearbeitung von Lieferaufträgen. Ein geeignetes Dock-/Yardmanagement optimiert die Lkw-Verkehre auf dem Hof und an den Rampen entsprechend dem Lagerbedarf. Umfassende Verwaltung von Chargen- und Seriennummern ermöglicht die durchgängige Verfolgung von Beständen innerhalb und außerhalb des Lagers – und schnelle Reaktion etwa bei Rückrufaktionen.
Multisitefähigkeit, bei der mit einem WMS die Prozesse mehrerer Läger gesteuert werden, bietet optimal koordinierte Workflow-Prozesse über mehrere Standorte hinweg. Systeme, die sich darüber hinaus in ihren Funktions­bereichen vom Anwender selbst kalibrieren lassen, steigern die Flexibilität zusätzlich – und sparen Kosten.
„Die Optimierungspotenziale in den logistischen Abläufen ­innerhalb des Lagers können mit den heute verfügbaren modernen WMS weitgehend gehoben werden“, resümiert Inconso-Vorstandschef Salzinger. „Die vielfach noch nicht erschlossenen Potenziale liegen in der integrativen Betrachtung von Lager- und Transportabwicklung sowie in der standortübergreifenden ­Optimierung des logistischen Netzwerkes – unter Einbeziehung der beteiligten Partner.“ Wer also seine Lagersoftware und damit seine Lagerprozesse modernisieren will, sollte anfangen ganzheitlich zu planen.
Rainer Barck

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