Schwarzenfeld-Gründer Thomas Kraker revolutioniert Logistik: Lieferungen bis in 5. Stock: Liefersystem: Die Packstation vor der Wohnungstür

Weil er Paketen nicht nachlaufen wollte, ersann ein Berliner Unternehmer ein Liefersystem, bei dem man nicht daheim sein muss. Das Potenzial zur Reduzierung von Verkehren ist enorm.

Bilder: J. Reichel; Lockbox
Bilder: J. Reichel; Lockbox
Redaktion (allg.)

Am Anfang war wie so oft die Idee – oder vielmehr ein ganz alltäglicher Mangel. Thomas Kraker von Schwarzenfeld war gerade aus Mexiko zurückgekehrt, wo er eine Weile gelebt hat. Gewöhnt an zahlreiche dienstbare Geister, wie das eben landesüblich ist, war er genervt vom vielen Geschleppe der Lebensmittel und Getränke in den fünften Stock eines Berliner Altbaus. Und wurde doch mal was geliefert, bürgerte es sich ein, dass er als Selbstständiger statt seiner Frau, tätig für einen großen Konzern, zu Hause sein musste. Und war er eben nicht zu Hause, lief er ewig den Päckchen hinterher.
Er empfing Zettel statt Päckchen, wie Schwarzenfeld es ausdrückt. Oder stand wieder Schlange bei seiner Postfiliale. Aus dieser Gemengelage und der Unzufriedenheit damit entstand der Antrieb. „Das muss doch anders gehen“, dachte sich der Lockbox-Chef. Und fing an zu brüten. So kam er auf die Idee mit den an der Tür ansperrbaren blauen Kisten, die Lockbox war geboren, quasi eine „Packstation vor der eigenen Tür“. Doch von der Idee im Januar 2014 bis zur Ausführung mit ersten Probelieferungen verging ein Dreivierteljahr.
Patentierte Hardware
Denn neben der zündenden Idee brauchte es vor allem auch eine Ausführung, die die Kunden überzeugte und einfach zu handhaben war. Basis der Lockbox ist eine Anbindung per solidem Drahtseil an die jeweilige Haustür, sozusagen der „Anker“. „Klingt simpel, aber bis wir das passende Werkzeug gefunden haben, mit dem sich unsere Winkel präzise an die jeweilige Wohnungstür anpassen ließen, haben wir ganz schön gesucht.“ Denn einen solchen Winkelbieger gibt’s nicht im Baumarkt. Im Internet fand sich schließlich eine kleine Firma im Bergischen Land, die sich seither über regelmäßige Nachfrage aus Berlin freut. „Ein chinesisches Pendant haben wir verworfen, der Knick im Metall war einfach nicht präzise genug.“
An dem einen Ende ist das Stahlseil des patentierten Systems an dem Anker unter der Tür gesichert. Am anderen Ende befindet sich die Lockbox, in der die Lieferung verpackt ist. Diese quietschblaue, langlebige und nicht zuletzt lebensmittelechte Kunststoff-Spezialkiste mit dem zweiflügeligen Deckel haben Thomas und sein Co-Founder Daniel Kraker von Schwarzenfeld eigens entwickeln lassen und halten sie in mittlerweile drei Größen vorrätig. In die XL-Variante mit 70 Liter Inhalt passt locker der Wocheneinkauf einer Kleinfamilie. „Und der hält zur Not auch über Nacht kühl“, grinst der Start-up-Unternehmer.
Thermobox integriert
Denn als Clou für das auf Lebensmittel und schnelle Konsumgüter (Fast Moving Consumer Goods) spezialisierte System haben die Schwarzenfelds eine maßgeschneiderte Thermobox entwickeln lassen. Wieder so ein Zufall: Ein Bekannter von Schwarzenfeld arbeitet in der Autoindustrie und ist für die Vibrationsunterdrückung an Fahrzeugen zuständig. Exakt aus diesem Material der Dämmelemente, die normalerweise gezielt am Chassis platziert werden, hat Schwarzenfeld die Thermobox fertigen lassen. „Mit Griffen innen und Segmentierbarkeit in verschiedene Kammern, versteht sich“, erklärt der Gründer und weist, während er einen Deckel rabiat verbiegt, zudem auf die extreme Robustheit, Langlebigkeit und die hohen Isoliereigenschaften des EPP-Materials hin. „Zusammen mit der Kunststoffbox und Kühlakkus halten die Waren 72 Stunden lang frisch – falls man doch mal spontan verreisen sollte und nicht daheim ist“, erklärt der Unternehmer.

Nachdem die Gründer festgestellt haben, dass vor allem auch Getränke gefragt sind, folgte Anfang des Jahres der „zweite Streich“: Sie gründeten die trinkkiste.de, ein Komplettsystem aus Online-Getränkeshop und Zustellliefersystem. Die Perfektionisten ersannen zu diesem Zwecke eine Edelstahlplatte, die sich in drei Formaten auf Getränkekisten aufsetzen lässt und ähnlich der Lockbox an die Tür angebunden werden kann. Ist das Bier mal wieder leer, wird online nachbestellt, die Kiste angebunden vor die Tür gestellt und der Zusteller tauscht die Getränke einfach aus. „Die Edelstahlplatte haben wir uns patentieren lassen. Und in einer neueren Version haben wir durch verbesserte Knickmethoden 40 Prozent Material eingespart“, erzählt der Gründer stolz.
Der Erfolg rechtfertigt den Aufwand: Pro Monat um 60 Prozent legt das Geschäft derzeit zu, Investoren zu finden war bisher kein Problem. Im nächsten Schritt wolle man allerdings bevorzugt einen Teilhaber aus der Logistik mit ins Boot nehmen, man lasse sich da lieber Zeit, bis der Richtige kommt, so Schwarzenfelds Credo. Nach Start in Berlin gibt es Lockbox mittlerweile in Hamburg, Düsseldorf, Köln, Hannover, Dortmund, München, Potsdam, Bremen und seit Kurzem Freiburg. So rege wird die Dienstleistung von Lockbox nachgefragt, dass die kürzlich bezogenen Räume im Wedding schon wieder zu eng werden und erstmals eine „echte“ Logistik­immobilie bezogen werden muss: draußen in Hohenschönhausen. Die Lockboxer starten als Untermieter mit 200 Quadratmetern, haben aber Option auf 1.000 Quadratmeter in einem Areal, das eigentlich ihrem Transporteur, als Subunternehmer tätig, gehört.

Zustellung im Transporter
Der befördert die Lockboxen derzeit noch mit 18-Kubik-Großraum-Sprintern, längste und höchste Version. Die werden in der Frühe vorkonfektioniert beladen und dann während einer neunstündigen, selbstredend per Telematik wegeoptimierten Schicht ausgeliefert. Wer bis 23:30 Uhr in einem der bekannten und mit Lockbox kooperierenden Onlineshops – bevorzugt Biomärkte oder im Falle von Hamburg lokale Edeka-Filialen – bestellt, erhält seine Waren am nächsten Tag zwischen 14 und 19 Uhr. Für den Kunden ist der Dienst übrigens kostenlos, man zahlt die Preise, die im jeweiligen Shop für den Service ausgewiesen sind. Üblicherweise werden die Boxen mit der nächsten Lieferung getauscht, man kann sie aber auch länger behalten oder final abholen lassen. Wichtig ist den Schwarzenfelds: „Unser System ist konsequent Mehrweg.“
Bald im Elektroauto?
Mit „Same Day“- oder gar „Same Hour“-Delivery, wie es Amazon Prime Now derzeit in Berlin testet, hat Schwarzenfeld für das Lockbox-System nichts am Hut. „Ich glaube schon, dass das kommt und erfolgreich sein wird für bestimmte Güter. Aber für die Dinge des täglichen Bedarfs, die man schon vorab weiß und nicht spontan ordert, ist das einfach zu teuer und zu aufwendig“, analysiert er. Es sei ohnehin schon schwer genug, in der Logistik qualifiziertes Personal zu finden.
Apropos: Ebenso schwer fand es der Gründer, zur nachhaltigen Idee passende Lieferfahrzeuge zu ermitteln. „Unser System spart jede Menge unnötiger Wege, im Endeffekt auch CO², wenn man nur daran denkt, wie oft der Kurierdienst anrücken muss oder der Kunde seinem Päckchen hinterherfährt statt umgekehrt. Daran anknüpfend, hätten wir ja gerne nachhaltig und elektrisch ausliefern lassen. Aber es gibt in der Klasse einfach nichts Rentables an Fahrzeugen“, schildert er.
Wobei er natürlich nicht er selbst wäre, würde er das einfach so hinnehmen. „Wir sind an was dran und werden so bald wie möglich eine vollelektrische Transportlösung präsentieren“, orakelt der smarte Start-up-Chef. Dann kommt die clevere Box auch noch CO²-neutral an die Wohnungstür. Unzufriedenheit kann ein starker Antrieb sein. Johannes Reichel

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